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Gehversuche in Göteborg

Die Skandinanvier nennen es liebevoll das "Liverpool Schwedens" - Göteborg. Die Stadt mit 700.000 Einwohnern steht nicht so sehr im Rampenlicht wie die Hauptstadt Stockholm. Trotzdem gibt es gerade hier, im Südwesten Schwedens, eine interessante Musiklandschaft.

Waren die drei Geschwister Jenny, Malin und Jonas Berggren sowie ihr Freund und Partner Ulf Ekberg auch zuerst mit Wheel Of Fortune auf Platz eins in den dänischen und norwegischen Charts gewesen, so stellte sich der ganz große Erfolg dennoch erst mit All That She Wants ein. Der schwungvolle Titel ebnete für Ace of Base den Weg in ganz Europa. Unaufhaltsam kletterte die Single in nahezu jedem europäischen Land auf die Spitzenplätze der Hitparaden. Für die Popfans außerhalb Skandinaviens war es ein Übernacht-Erfolg wie er im Buche steht. Denn im Rest der Welt wurde All That She Wants als erste Single der inzwischen längst etablierten schwedischen Hitfabrik veröffentlicht.

Vor allem Rock `n` Roll und Rhythm & Blues werden hier gern gespielt, aber auch für eingängige Dancefloor-Songs hat man ein offenes Ohr. Jonas Berggren, der musikalische Kopf von Ace of Base, lobt die musikalische Toleranz in seiner Heimatstadt, die ihm zu Beginn seiner Karriere sehr geholfen hat: "Hier floriert der Rock `n` Roll, es gibt sehr viele Gitarrenbands. In Stockholm sind sie eher trendy und hören Dance Music. Aber auch wir stehen in Göteborg mit unseren tanzbaren Songs nicht ganz allein da, auch  bei uns wird 'Modern Music' immer wichtiger. Denn in ganz Schweden haben die Plattenfirmen und die DJs extrem schnell alle wichtigen Dance-Music-Acts populär gemacht und unter Vertrag genommen. Deshalb ist die schwedische Dancefloor-Szene auch relativ weit entwickelt."

Das war ein gutes Umfeld für die musikalischen Pläne von Jonas Berggren. Denn nach einigen Versuchen, als Rockmusiker Anerkennung zu finden, konzentrierte er sein Talent auf tanzbare Popmusik. "Ganz am Anfang habe ich mal Rock `n` Roll in einer Band gespielt. Aber gemeinsam mit verschiedenen Leuten und Instrumenten ist es schwieriger, seine Ideen auszudrücken", erzählt Jonas, "bei 'Modern Music', wie ich Dancefloor-Pop nenne, kannst du Melodin und Groove besser kombinieren. Ich persönlich stehe deshalb auf Maxi-Versionen von Songs aus fast jeder Sparte, weil es bei ihnen letztlich immer auf den Gehalt eines Songs ankommt. Und man ist doch auch einfach glücklich, wenn man einen guten Song hört!"

Dieser Philosophie ist das blonde Songwriter-Talent bis heute treu geblieben. Sie hat Ace of Base den Erfolg gebracht. Hinzu kam aber auch die Besessenheit, mit der alle Beteiligten an ihre Musik arbeiteten. Denn auch Ace of Base hatten es am Anfang nicht leicht. Angesichts der strahlenden Glitzerwelt, die die Musiker heute umgibt, ist das zwar kaum zu glauben, doch der Erfolg ist das Ergebnis von jahrelanger hartnäckiger Arbeit. Eine zeit, in der Jonas Berggren gelegentlich sogar darüber nachgedacht hat, ob er sein Vorhaben, al professioneller Popmusiker zu leben, womöglich aufgeben müsste.

"Es gab schon Zeiten, als ich noch jeden Pfennig, den ich verdient habe, in mein Studio investierte und kaum Geld übrig hatte. In den letzten zwei Jahren vor unserem Platten-Debüt hatte ich gar kein Geld mehr und mußte mir immer wieder was leihen. Da habe ich schon ab und zu ernsthaft daran gedacht, weniger Musik zu machen und was anderes zu arbeiten", erinnert er sich. Trotzdem hätte er sich schon damals ein Leben ganz ohne Musik nicht vorstellen können: "Ans Aufhören habe ich nie gedacht."

Dabei musste sich Jonas genau das anhören, was wohl die meisten Jugendlichen in seinem Alter zu hören bekommen, wenn sie versuchen, sich ausschließlich der Musik zu widmen. Daß er doch etwas Vernünftiges lernen solle, wurde ihm gesagt. Und dass er nichts arbeiten würde.

Dazu kann Jonas noch heute nur die Schultern zucken: "Ich hatte einen 14-Stunden-Tag und habe manchmal bis frühmorgens im Studio gesessen. Meine Verwandten haben mich ständig gefragt, wann ich mir endlich einen anständigen Job suche. Die haben mich für verrückt erklärt."

Auch seine Schwester Jenny erinnert sich noch genau an diese Zeit: "Wir hatten ziemliche Schwierigkeiten mit der Verwandtschaft und der Familie. Meine Schwester Malin hatte einen Job ich ging aufs Gymnasium, aber Jonas hatte nichts vorzuweisen. Er hat 'nur' Musik gemacht ..."

Heute können beide über die Schwierigkeiten der Anfangstage herzlich lachen, der Erfolg hat dem "Sturkopf" Jonas einfach recht gegeben. Er war es auch, der im Jahre 1990 seine Schwestern Jenny und Malin dazu bewog, in die Band einzusteigen. Kein unüberlegtes Unternehmen, sondern kluges Kalkül. Denn die drei Berggrens stammen aus einem musikalischen Elternhaus. Schon als Kinder wurden die Geschwister mit Jazz und Klassik vertraut gemacht, außerdem sangen Jenny und Malin im Kirchenchor ihrer Gemeinde mit. Etwas, was sie auch heute noch machen, vorausgesetzt der vollgepropfte Terminkalender lässt es zu.

Die Rollen waren bei Ace of Base von Anfang an klar verteilt - Jonas und Ulf schreiben die Songs und kümmern sich um die Arrangements, Malin und Jenny verleihen den Songs mit ihren klaren Stimmen das gewisse Etwas und geben ihnen ihren unverkennbaren Charakter. Und obwohl alle Mitglieder voll und ganz hinter ihrer Musik stehen, unterscheiden sich ihre musikalischen Vorlieben deutlich. Ein Umstand, den Jonas positiv einschätzt, denn Vielseitigkeit ist seiner Meinung nach ein äußerst belebendes Element für die Band. "Ulf mag eher Alben, hinter denen ein Gesamtkonzept steht, und er bewundert Kraftwerk und Depeche Mode. Und meine Schwestern Malin und Jenny achten bei Musik vor allem auf gute Stimmen und mögen schwarze Musik, etwa von Whtiney Houston". sagt Jonas. Dennoch konnten sich die Musiker auch innerhalb des rockigen Klimas in Göteborg schnell auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Jonas Berggren: "Ich habe eigentlich schon immer Dancefloor-Musik aus Deutschland und Italien gehört. Und irgendwann habe ich eben mit meinen Schwestern solche Disco-Sachen am Computer ausprobiert. Wir haben uns langsam verbessert. Das ist wie beim Zeichnen: Es gibt kein Rezept,  aber irgendwann weißt man, worauf es ankommt."

Zeit zu üben hatte Jonas genug. Denn Ace of Base ist nicht die erste Band, in der der Songwriter mitwirkte: "Vorher spielte ich in der Band Tech-Noir. Unsere Songs klangen ähnlich wie die von Ace of Base, ein paar der alten Stücke sind auch auf unserem Album zu hören." Auch Partner Ulf Ekberg war für Berggren kein Unbekannter. Mit ihm verbindet ihn vor allem die gemeinsame Liebe zu tanzbarer Popmusik: "Ich traf Ulf mit 18 Jahren. Am Anfang hingen wir jedoch hauptsächlich zusammen in den Göteborger Cafés rum, wo sich die Dance-Szene der Stadt traf, und redeten über Musik." Im Falle von Ace of Base war Reden buchstäblich Gold.

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